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creatalksMai 2022

Digitalisierung & Flucht (1): Was das Sozialunternehmen hinter Integreat antreibt

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland geflohen. Manche Städte werden der Herausforderung auch Herr, in dem sie ihre Flüchtlingshilfe teilweise digitalisieren – und zwar mit einer App: Integreat macht kommunale Informationsangebote für Geflüchtete einfach und in verschiedenen Sprachen abrufbar.

Mit: Clara Bracklo

Bekannt geworden ist das Sozialunternehmen Tür an Tür – Digitalfabrik in den letzten Wochen auch, weil es in Windeseile eine Schlafplatzvermittlung in seine App eingebunden hat. Für das kleine Team aus Teilzeitkräften und Freiwilligen bedeutet das vor allem: viele Überstunden. Und der Krieg in der Ukraine ist nicht die erste Krise, in der die Integreat-App plötzlich sehr gefragt ist. Im Interview spricht Clara Bracklo von Integreat darüber, was sie und ihre Kolleginnen und Kollegen motiviert.

Als einmalige Sache geplant

Marius Leuschner (Marketing-Manager, creatale): Hi Clara! Danke, dass Du Dir heute Zeit nimmst. Du hast bestimmt viel um die Ohren gerade.

Clara Bracklo (Wirkungsmessung & Organisationsentwicklung, Tür an Tür – Digitalfabrik): Hi! Überhaupt kein Problem.

Marius: Was sind Deine Aufgaben bei Integreat?

Clara: Ich bin einerseits stark im Bereich Organisationsentwicklung eingebunden. Da wir viele Anfragen kriegen, helfe ich zum Beispiel strategische Entscheidungen zu treffen, was wir noch stemmen können und wo wir fürs erste ablehnen oder auf andere Lösungen verweisen müssen. Aber dann springe ich auch noch ein, wo auch immer ich noch gebraucht werde – zum Beispiel für Interviews.

Marius: Interview-Termine gehören wahrscheinlich zu den stressigsten Aufgaben, oder?

„Der Plan der meisten von uns war eigentlich: Wir bringen das zu Ende und dann kehren wir zurück an die Uni. Stattdessen waren wir alle überrascht, wie schnell sich unser Erfolg in Augsburg rumgesprochen hat.“
– Clara Bracklo

Clara: Ach, es geht. Kommt drauf an, was für Fragen man mir stellt (lacht)!

Marius: Dann lass uns ganz entspannt einsteigen – warum habt ihr mit Integreat angefangen?

Clara: Das ist tatsächlich gar keine schwierige Frage! Wir sitzen in Augsburg und unsere Organisation ist auch hier entstanden. 2015 haben wir das Projekt gestartet, anfangs komplett ehrenamtlich. Damals sind so viele Menschen nach Deutschland gekommen, dass wir einfach helfen wollten. Also haben wir uns dazu entschieden, die Stadt Augsburg bei der Integrationsarbeit zu unterstützen – und zwar mit Technologie.

Marius: Wie habt ihr das am Anfang gemacht? Was waren die ersten Features, die ihr mit eurer Software abgedeckt habt?

Clara: In Augsburg gab’s damals schon ziemlich viele Beratungs- und Integrations-Angebote. Das Problem war und ist nur einfach, dass man das schlecht an die Leute herantragen kann. Für Augsburg haben wir über die Integreat-App Erstinformationen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Das ging’s wirklich um die Antworten auf die allerdringendsten Fragen: Wo muss ich mich anmelden? Wo kann ich heute Nacht schlafen?

Marius: Und wie ging’s von da an weiter? Wie seid ihr zu neuen Projekten gekommen?

Clara: Eigentlich sollte es überhaupt keine weiteren Projekte geben. Wir hatten Integreat fertig entwickelt und das wurde in der Stadt gut angenommen. Der Plan der meisten von uns war eigentlich: Wir bringen das zu Ende und dann kehren wir zurück an die Uni. Stattdessen waren wir alle überrascht, wie schnell sich unser Erfolg in Augsburg rumgesprochen hat. Dann hat die nächste Kommune angefragt und die nächste. Deshalb sind einige von uns dabeigeblieben und viele neue dazugekommen. Wir haben alle verstanden, dass wir nicht nur in Augsburg etwas Gutes tun können.

In Krisenzeiten sehr gefragt

Marius: Was habt ihr denn als Erstes für andere Städte und Gemeinden gemacht?

Clara: Kommunale Inhalte sind in Deutschland selten mehrsprachig, die meisten städtischen Websites gibt’s gerade mal in englischer Sprache. Übersetzungen auf Arabisch, Farsi – oder Russisch und Ukrainisch, die jetzt total schnell gebraucht werden – sucht man vergebens. Das war mit das erste Problem, das wir in Augsburg und anderen Kommunen angegangen sind. Mehrsprachige Informationen sind immer noch unser Hauptanliegen.

Marius: Übersetzt ihr den Content selbst?

„Jeder bei uns weiß, wofür wir das machen. Diese innere Motivation ist für uns wichtig. Zu sehen, dass wir Zugezogene tatsächlich unterstützen können, pusht uns enorm.“
– Clara Bracklo

Clara: Nein, aber wir unterstützen die Städte und Landkreise wo wir können - beispielsweise mit Schnittstellen zu KI-Übersetzungen und Übersetzungs-Rahmenverträgen mit günstigeren Konditionen. Generell erstellen wir aber selber keine Inhalte für Integreat und nehmen auch keine Übersetzungen vor. Das könnten wir mit unserem Team aus 25 Teilzeitkräften und unseren Ehrenamtlichen niemals stemmen. Stand April 2022 betreuen wir um die 80 Kommunen und es werden ständig mehr. Wir übernehmen alle Aufgaben auf der IT-Seite. Das heißt: Wir machen die ganzen Informationen abrufbar.

Marius: Im Moment übersetzen die Städte wahrscheinlich sehr viel ins Ukrainische, oder?

Clara: Absolut. Selbst wenn es manche Inhalte schon auf Russisch gibt, ist es auch aus politischen Gründen wichtig, dass die wichtigsten Infos auch auf Ukrainisch abrufbar sind.

Marius: Ist der Ukraine-Krieg für euch bisher die stressigste Phase? Ihr seid inzwischen ja auch ziemlich bekannt geworden.

Clara: Ja, gerade kommen wir schon an unsere Grenzen. Im Moment ist eine der wichtigsten Funktionen, die wir anbieten können, die Vermittlung von Schlafplätzen. Das mussten wir ziemlich schnell für viele Städte umsetzen. Aber andererseits sind wir den Krisenmodus auch schon gewohnt. Wir haben die App entwickelt als 2015 sehr viele Menschen vor Krieg und Gewalt geflohen und nach Deutschland gekommen sind, dann kam die Pandemie. Gerade in der Corona-Anfangsphase haben die Anfragen kräftig zugenommen.

Dabeigeblieben, um zu helfen

Marius: Dann seid ihr ja eigentlich von Krise zu Krise gesprungen!

Clara: Das stimmt (lacht). Manchmal war das auch ganz schön stressig, aber wir sind auch nicht ohne Grund ein Sozialunternehmen. Jeder bei uns weiß, wofür wir das machen. Diese innere Motivation ist für uns wichtig. Zu sehen, dass wir Zugezogene tatsächlich unterstützen können, pusht uns enorm. Und neben unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir auch noch viele Freiwillige, die überall aushelfen. Ohne die würden viele Aufgaben liegen bleiben.

Marius: Ihr seid ja aber trotzdem noch ein recht kleines Team und es arbeiten nicht alle vor Ort. Wie organisiert ihr euch?

Clara: Zum einen kommen inzwischen doch viele wieder ins Büro. Mir persönlich tut das gut, meine Kolleginnen und Kollegen wieder zu sehen. Wir verteilen die Arbeit oft in kleinen, manchmal spontanen Besprechungen. Das klappt sehr gut und kostet nicht viel Zeit. Als wir alle im Homeoffice gearbeitet haben, hat asynchrone Kommunikation am besten funktioniert und das nutzen wir auch immer noch. Wir verwenden Mattermost, im Chat teilt jeder, welche Aufgaben und Anfragen gerade so reinkommen. Jeder kann alles nachlesen und so bleiben alle auf dem aktuellen Stand. Wer noch ein bisschen Kapazität hat, meldet sich freiwillig und übernimmt noch mehr Arbeit, auch wenn das nicht immer in den klassischen Aufgabenbereich fällt.

Marius: Ich finde eure Arbeit auf jeden Fall großartig. Danke für Deine Zeit!

Clara: Vielen Dank auch Dir.

Schlagwörter: Unternehmertum, Interview, Sozialunternehmen
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